Michael Tewes
pavlov’s dog präsentiert:
Book Launch
25.03.2022, 19.00 Uhr
Ort:
Gewölbekeller der Königstadtbrauerei
Saarbrückerstr. 24, 10405 Berlin
Berlin Premiere im Vorfeld er Sonderausstellung „Auto Land Scape – Fotografien von Michael Tewes” im Deutschen Museum München
Die Autobahn ist ein sehr deutscher Ort – auch wenn die erste vierspurige kreuzungsfreie Schnellstraße nicht in Deutschland gebaut wurde, sondern in Italien: von Mailand in Richtung Norden nach Varese. Die Autobahn ist Ort und Unort zugleich: weil sie, einerseits, immer größere Flächen frisst. Und andererseits besteht der ganze Sinn und Zweck dieses Ortes darin, dass man hier nicht bleibt, sondern weg von hier kommt, möglichst schnell, möglichst weit (auch wenn es Momente gibt, da der leidende Fahrer glaubt, der Sinn der Autobahn bestünde darin, möglichst viele Autos zum Stillstand zu bringen, irgendwo in der deutschen Landschaft).
Die Autobahn ist ein deutscher Mythos – was, auf den ersten Blick, vielleicht widersinnig klingen mag. Weil der Mythos ja eine überzeitliche Erzählung ist, eine Geschichte jenseits der Geschichte. Wogegen jeder, der sich dafür interessiert, sich über die Anfänge deutscher Autobahnen informieren kann: von der Avus, der Rennstrecke im Süden Berlins, über die Planungen einer Nord-Süd-Verbindung von Hamburg über Frankfurt nach Basel. Bis zur ersten echten Autobahn; die wurde 1932 eingeweiht; es war die heutige A 555, die links des Rheins von Bonn nach Köln führt.
Wer die mythischen Dimensionen der Autobahn überblicken will, muss die richtige Ausfahrt nehmen und von unten auf die Viadukte schauen. Michael Tewes hat das immer wieder getan, hat hinaufgeschaut, zu den Brücken, den Pfeilern, den gigantischen Bögen. Man kommt sich klein vor angesichts dieser Bilder, es packen einen die Schauder des Erhabenen (um es ein bisschen anspruchsvoll zu formulieren); man sieht auf einigen dieser Bilder sogar, dass es Kräne und Maschinen sind, die diese Werke schaffen und geschaffen haben. Aber nicht einmal der Anblick einer Brücke, die noch im Bau ist, kann den Verdacht ganz entkräften, dass es nicht Menschen, sondern Titanen sind, die solche Bauten errichten.
Dass die Autobahn, dieser ortlose Ort, zugleich ein Schauplatz ist, scheint sich von selbst zu verstehen – wer, nur zum Beispiel, mit dem Auto von Berlin nach München fährt, hat ja fünf bis sechs Stunden auf die Autobahn geschaut. Dass er nicht viel mehr gesehen hat als die Rück- und Bremslichter derer, die vor ihm fahren, das erfährt man, wenn man Tewes‘ Bilder betrachtet. Man muss anhalten, stehenbleiben, sich Zeit nehmen – die Autobahn von außen zu betrachten ist nicht nur eine Frage des Standpunkts. Sondern auch eine der Geschwindigkeit. Anhalten, stehenbleiben, das ist als Stau oder Panne definiert, allenfalls als kurze Pause. Michael Tewes betrachtet die Autobahn aus der Perspektive von nullkommanull Stundenkilometern. So wird sichtbar, was bei Tempo 130 unsichtbar bleibt.
Ach es scheint, wenn man diesen Bildern zum ersten Mal begegnet, eine Tristesse aus ihnen herauszuschauen, eine Ansicht von Deutschland als der Gegend, wo Autobahnen dringend gebaut werden mussten, damit man wegkommt von hier, möglichst weit, möglichst schnell, irgendwohin, wo die Nebel sich lichten und das Grau des Himmels sich in ein helles Blau verwandelt. Und mit jedem Kilometer Autobahn, der gebaut wird, wird das Land noch grauer und man will es noch dringender verlassen. Es ist aber ihre Tiefe, in die man hineinschauen darf, damit man Schönheit und Erhabenheit findet – und einen fast schon futuristischen Geist, der weiß, dass Grau eine elegante Farbe ist. Und dass das Grünblau einer Abdeckfolie, die rotweißen Streifen einer Absperrung und die regenbogenfarben einer Ölpfütze den Betrachter schon in einen Rausch versetzen können. Dass hier niemals Menschen zu sehen sind, ist kann Mangel, sondern eine Einladung an den Betrachter: Komm herein, mit deinen Blicken und Gedanken, es ist für beide hier Platz genug!
Man bleibt also hin- und hergerissen vor diesen Bildern: Soll man bleiben – oder gleich losfahren auf der nächsten Autobahn. Und man entscheidet sich dafür, vor diesen Bildern noch eine Weile stehen- oder sitzen zu bleiben. Bis man ihren Reichtum ganz erfasst hat.
Claudias Seidel ( Auszug aus dem Vorwort)
Verlag HatjeCantz
Hardcover, 180 Seiten
120 Abbildungen
Text(e) von Claudius Seidel, Marietta Schwarz, Thomas Zeller & Alexander Gall, Gestaltung von Ungermeyer,
Hrsg. Nadine Barth
30,00 x 29,00 cm
ISBN 978-3-7757-5170-4
Preis 48 €
Mit freundlicher Unterstützung von: